Das Lied vom Kehler Autel-Fang.
von Richardl
1906 gab es eine große Entrüstung, als in Kehl (am Rhein) ein Polizist namens Krebs mit zweifelhaften Methoden die Geschwindigkeit vorüberfahrender Automobile feststellte. Er wurde dabei unterstützt von seinem Landrat Julius Holderer.
Das Gedicht stammt aus der Feder von Richard Braunbeck, dem Schwager von Emil Kneiß.
Buh, – es ist ein Jammer auf der Erden,
Nirgends will es niemals besser werden,
Ueberall an jedem Welten-Eck
Lauert heutzutag ein and’rer Schreck.
In dem Land, wo die Zitronen blühen,
Und die Räuber einem ’s Hemd ausziehen,
Wo die blutige Camorra haust,
Der Vesuv speit, daß es jedem graust.
Ueber’m Wasser, dort in Kalifornien,
Da geriet die Unterwelt in Zornien,
Ließ die Erde zittern, daß es kracht,
Das ist schrecklich, wenn man’s Recht betracht.
Etwas weiter südlicher in Chile
Kriegt‘ die Erde bebende Gefühle,
Und es bebte mit bei meiner Seel,
Auch die hohe Schandarm’rie von Kehl.
Ja, sie bebte mit in wahrem Jammer,
Schandarm Krebs trat zitternd aus der Kammer,
Denn ihm träumte es im Dienst sogar,
Daß ein Autler frech ihn überfahr.
Statt der guten, altgewohnten Pferde,
Das Benzin benutzt die wilde Herde,
Schert um Ochs sich nicht und Kameel,
Auch nicht um die Schandarmrie von Kehl.
Weil der Krebs geht rückwärts von der Stelle,
Scheint ihm jedes Vorwärts doppelt schnelle;
Fährt ein Auto mit dem ersten Gang,
Wird es einem Krebs schon bang.
Und er sagt sich: diese Kerls in Hitze
Sausen wirklich, wie geölte Blitze;
Weh! – Es zittert Boden schon und Haus
Mit der Erde und mit Kehl ist’s aus!
Und er meldet drum beim hohen Amte,
Daß die Autlerei, die gottverdammte,
Noch das ganze Weltall ruiniert,
Wenn man sich in Kehl nicht ernstlich rührt.
Und der Staatsanwalt sowie der Richter
Machen beide ängstliche Gesichter
Und sie rufen: „Krebs geh‘ hin und schau,
Fange diese Bande Mann und Frau!“
Zu Kollegen spricht nun Krebs: Ein jeder
Weiß, ich geh‘ pro Stund‘ zwölf KIlometer,
Fährt ein Auto schneller, als ich lauf‘,
Schreibt mir diesen Obergauner auf!“
Nun begann in Kehl ein großes Fangen,
Oh, . wie faßt die Autler da ein Bangen;
Wer nur nach Benzin ein wenig roch,
Zahlte Strafe oder flog ins Loch.
Kam von Straßburg her ein Auto-Wagen
Ward er angehalten. Auf Befragen
Sprach Herr Krebs die milden Worte aus:
„Bleibt mit eurer Sauerei zu Haus!“
Die Gerechtigkeit saß fest im Sattel,
Jedem Autler ging es an’s Krawattl; –
Pro Minute eine halbe Ell‘,
Einem Krebsen war es schon zu schnell.
Eine Uhr hat Krebs von seinem Vater,
Diese war ihm Leitstern und Berater,
Zwar an Rheuma litt sie und an Gicht,
Manchmal ging sie, manchmal ging sie nicht.
Doch was macht das, wenn die Krebsenaugen
Schon zum Autelfang alleinig taugen,
Und man sieht mit ihnen ‚rum ums Eck;
Alles weit’re hat da keinen Zweck.
Kommt vom Markt herab ein Aut im Sause,
Sieht das Krebs von hinten, hinter’m Hause,
Mit dem linken Aug‘ folgt er der Spur,
Mit dem rechten sieht er auf die Uhr.
Mancher Weltrekord ward so gemessen.
Der Herr Staatsanwalt der freut sich dessen
Und bestätigt ihn dann vor Gericht:
„Ein Schandarm irrt absolut sich nicht.“
Mit dem kleinsten Piccolo-Motorchen
Vier Personen d’rauf – man muß bloß horchen
Fuhr ein Wildling – kein’swegs bei Gefäll –
Gleich um 30 Reichsmark Straf‘ zu schnell!
Den Respekt vor’m Amt muß solches heben,
Nirgends konnt‘ man so was noch erleben,
Deshalb ist im fernsten Archipel
heutzutag die Rede nur von Kehl.
Angestellte, Bürger, Freiherrn, Grafen
Alle that man gleicherart bestrafen.
Und den Herzog von Aosta – hört! –
Hätt‘ man beinah‘ auch noch eingesperrt.
Soziale Gleichheit ist zu loben,
Darum preiset Kehl, nach diesen Proben,
Und verdammt Madame Hirtzlin sehr,
Die dagegen sich gesetzt zur Wehr!
Diese Dame, eine wohlbekannte
Und „La reine d’Automobile“ genannte,
Ließ sich nicht bestrafen – ei wie keck –
Und ihr Einspruch – staunt! – er hatte Zweck.
Freigesprochen ward sie von den Schöffen
Und durft‘ unbestraft nach Straßburg töffen,
O, befehlt dem Himmel eure Seel:
Aus ist’s mit der Welt und auch mit Kehl!
Aus ist’s, gar ist’s. Preßluftgummireifen
Werden fürder über Kehl wegstreifen,
Eh‘ der Winter wiederum regiert
Ist die Stadt vom Erdball wegradiert.
Huh, – es ist ein Jammer auf der Erden,
Nirgends will es niemals besser werden,
Selbst den Autlern wird jetzt Recht gezollt;
Gibt’s denn keinen Teufel, der sie holt?!
Die Hilfskräfte der Gendarmerie
In Kehl geht’s jetzt so zu, daß die Gendarmen mit dem Aufschreiben der Automobilisten gar nicht mehr fertig werden können. Jedem Schutzmann ist deshalb eine gewandte Stenographistin beigegeben worden.
Eröffnung des Kehler Kasperltheaters
Zeitungsmeldung: Am Sonntag, den 7. April (1907), wurden in Kehl unter großem Auflauf autelnde Amerikaner dem Bezirksamt vorgeführt.
„Meine Herrschaften, nur heranspaziert, die Vorführungen haben nun wieder begonnen!“
Auf dem Fuß des Kasperls ist noch ein Oberamtmann Hol… zu erahnen. Es handelt sich um den Oberamtmann (=Landrat) Julius Holderer. Dieser stützte mit Nachdruck das Vorgehen seines Untergebenen Krebs.
Sollen alle diese nützlichen Vorschläge zur radikalen Ausrottung des Automobilismus wider Erwarten nicht verwirklicht werden, dürfte wenigstens das Augenmerk darauf zu richten sein, die Autlerei auf andere Art zu unterdrücken. Es wäre darum folgendes vorzuschlagen:
Die Autos und ihre Fahrer sollten 20fach numeriert und auf allen Seiten beleuchtet sein.
Die Landstraßen sollten überhaupt bloß noch zum Verbieten da sein,
Für alle irgendwie gearteten Unfälle sollten die Autler haftbar gemacht werden,
in jedem Fürstentum sollten Steuern, Zölle, Sporteln, Oktroi u.s.w. erhoben werden,
Jeder Gendarm sollte durch Frontmachen zu grüßen sein und Strafen bis zu 1000 M. sofort einziehen können.
Die Jugend sollte durch Scheibenbilder frühzeitig an den Kampf gegen das Auto gewöhnt werden.
LA SOURICIÈRE DE KEHL
Die Kehler (Mause-)Falle
Aus der Zeitung L’Auto-Vélo: Eine Karikatur von Edwin Heine, der auch für den Radfahr-Humor gezeichnet hatte.
„Was dem kleinen Bob passiert ist als sein Onkel aus Nürnberg ihm ein kleines Automobil auf einer Spielzeugausstellung gekauft hat“